Das Qualitätsmanagement krankt. Die Schere zwischen eigenem Anspruch und Realität klafft weit auseinander und die Anzahl sowie Bedeutung der Qualitätsmanager nimmt ab. Daher ist es mir ein Anliegen, einen Impuls zu einer klaren wertschöpfenden Positionierung des Qualitätsmanagements zu schreiben. Doch erstmal: Welches Problem gilt es denn zu lösen?
Fachdisziplinen wie der Vertrieb, das Controlling oder eben auch das Qualitätsmanagement verhalten sich in einem marktwirtschaftlichen Umfeld ähnlich wie Unternehmen. Fachdisziplinen wie auch Unternehmen müssen
- wertstiftend sein,
- sich vom Wettbewerb abgrenzen,
- und in ihrer Disziplin deutlich besser sein als Generalisten.
Andernfalls werden sie verdrängt und verschwinden.
Meiner Einschätzung nach verliert QM zunehmend seinen Fokus. Und den Fokus auf Zertifikaterhalt und Nachweispflichten, den es in der breiten Öffentlichkeit hat, sollte es nicht haben. Darin liegt nämlich keine Wertschöpfung, sondern oft sogar Wertvernichtung. QM droht sich zu zerlegen – nicht kurzfristig, aber langfristig. Wird überflüssig oder von anderen Fachdisziplinen verdrängt. Ganz wie ein Unternehmen mit zu wenig Fokussierung und zu wenig Wertschöpfung.
1. Befähiger werden zum Selbstzweck.
2. Qualität wird immer mehr zu „das Gute“.
3. QM verliert seinen Unique Selling Point (USP).
Ausgangspunkt des Qualitätsmanagements war vor einigen Jahrzehnten eine hohe Produktqualität beim Kunden sicherzustellen. Gut fundiert fand man heraus, dass stabile Prozesse förderlich für eine hohe Produktqualität sind. Daraufhin konzentrierte sich QM auf stabile Prozesse. Und ich füge vorsichtig hinzu: … und verlor den Fokus auf die Produktqualität zumindest ein wenig.
Etwas schlechter empirisch fundiert, aber mit guter Intention und höchstem Aufwand erarbeitete man die ISO 9001 in der Hoffnung, dass diese die Qualitätsfähigkeit und letztlich die Qualität von Produkten positiv beeinflusst. Daraufhin konzentrierte sich das QM auf den Aufbau von QM-Systemen und Zertifikaten. Und ich füge vorsichtig hinzu: … und verlor den Fokus auf die Produktqualität ein wenig mehr.
Gerade in den letzten Jahren wird (aus gutem Grund) verstärkt propagiert, dass Purpose und Motivation von Mitarbeitern entscheidend für jegliche Zielerreichung seien. Es geht also um Führungsqualität. Darum konzentrieren sich aktuell viele QMler auf eine Verbesserung von Führungsqualität. Und ich füge vorsichtig hinzu: … und verlieren den Fokus auf die Produktqualität noch ein wenig mehr.
Diese Liste ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Ansätze und Prinzipien, die ursprünglich auf Produktqualität ausgerichtet waren, werden im QM häufig als Selbstzweck weitergeführt, ohne den Zielbeitrag zu hinterfragen. Das geht so weit, dass etliche QMler und noch mehr Führungskräfte Schwierigkeiten haben, das eigentliche Ziel von QM überhaupt noch zu benennen.
Und der kleinste gemeinsame Nenner aller bekannten QM-Ziele setzt sich somit in der Öffentlichkeit durch: das Sicherstellen eines Zertifikates und das Generieren von Nachweisen. Mit fraglichem Wert. Und aus diesem Image auszubrechen, ist für den einzelnen QMler ausgesprochen schwierig.
Auf der anderen Seite wird QM vor allem von den Ausbildungseinrichtungen und ein Stück weit durch die Normung immer größer und umfassender definiert. Im Zuge von Total Quality Management ist das auch nachvollziehbar, aber hinsichtlich Fokus und USP nicht beliebig weit sinnvoll. „Selbstverständlich ist Nachhaltigkeit ein Thema der Qualität“ – und Führungsqualität auch und Prozessqualität auch und Organisationsqualität auch und Resilienz auch und Lebensqualität auch und Mitarbeiterzufriedenheit natürlich auch!? Können wir uns darauf einigen, dass das alles wichtige und gute Themen sind? Wenn wir jedoch alles Wünschenswerte „Qualität“ nennen, dann ist QM nur noch „Management zum Guten“, aber keine einzelne Fachdisziplin mehr. Kein Fokus, keine Wirksamkeit. Oder aber der Qualitätsmanager ist der bessere Geschäftsführer. Aber ist er es denn wirklich? Ich glaube nicht. Denn dann wäre er Geschäftsführer.
Es gibt nicht viele Prinzipien, die alle Managementmoden überlebt haben. Ein Prinzip jedoch schon: Richtig erfolgreich und wirksam wirst du nur mit einem klaren Fokus. Das gilt für Unternehmen, für Communities wie auch für Einzelpersonen. Und QM droht seinen Fokus und damit seinen USP zu verlieren.
Ich komme zunehmend zu dem Schluss: Alle Mosaiksteine fallen wieder an ihren Platz, wenn wir nur noch das QM nennen, was im Sinne von Kundenzufriedenheit signifikant zur Produktqualität beiträgt. Denn gemäß dem Unternehmerischen Qualitätsverständnis* führt Kundenzufriedenheit zu erhöhter Zahlungsbereitschaft. Steigert das QM die Zahlungsbereitschaft über die Produktqualität, findet reale Wertschöpfung statt.
Dabei kann das Qualitätsmanagement selbst keine Qualität schaffen. Diese entsteht aus den Wertschöpfungsprozessen. Das Qualitätsmanagement kann lediglich beratend positiv darauf einwirken. Jede (projektartige) Umsetzung des Qualitätsmanagements sollte meiner Einschätzung nach im Liniengeschäft münden und wieder frei vom Qualitätsmanager sein. Im statischen Fall bin ich sogar der Überzeugung, dass QM auf Dauer überflüssig ist, wenn die restliche Organisation das Gedankengut verinnerlicht und operationalisiert hat. Da sich Produkte, Markt und Kollegen kontinuierlich verändern, kann der QMler aber auch langfristig wertschöpfend sein – obwohl er permanent daran arbeitet, überflüssig zu werden.
Allerdings ist es keine einfache Aufgabe herauszufinden, welche Initiative, welches Projekt oder welche Maßnahme nun hinsichtlich der Kundenzufriedenheit den besten Wirkungsgrad hat. Denn das Suchfeld geht weit über beispielsweise Audits, Fehlerfreiheit, stabile Prozesse, Kompetenzmanagement und Qualitätsbewusstsein hinaus. Wir QMler müssen lernen, Korrelationen zwischen Maßnahmen und Produktqualität zu erkennen und zu bewerten. Durch die zunehmende Digitalisierung war Messbarkeit nie einfacher möglich als heute. Und wenn wir nicht messen können, müssen wir halt schätzen.
Hier empfehle ich das Prinzip des Planning Poker und zwar sowohl für die relative Schätzung des Aufwands als auch für die relative Schätzung der Qualitätssteigerung. Aus dem Quotienten aus Qualitätssteigerung und Aufwand resultiert eine Priorität. Die Projekte mit dem besten Aufwand-Nutzen-Quotienten werden mit einem Work-In-Progress-Limit umgesetzt, um nicht nur Projekte zu starten, sondern den Durchsatz der Projekte zu maximieren.
Darüber hinaus empfiehlt sich ein agiles Projektvorgehen, das sich z.B. an Lean Startup orientiert, mit dem Dreiklang: Assumption – Metric – Experiment.
1. Assumption: Jede Maßnahme geht von einer Annahme aus, z. B. „Wir glauben, dass die Initiative xyz zu begeisterten Einzelkunden führen wird.“.
2. Metric: Anschließend wird eine Messgröße für den Projekterfolg definiert, z. B. „Mindestens drei Kunden äußern sich begeistert über den neuen Umgang mit xyz bei der Kundenumfrage.“
3. Experiment: Zuletzt wird das kleinstmögliche (!) Experiment durchgeführt, um die Annahme zu verifizieren oder zu falsifizieren. Gibt es Indizien für eine Verifikation, werden nächst-größere Umsetzungs-Iterationen angestrebt, bis letztlich das Projektziel erreicht ist.
Ja und was ist jetzt mit dem ISO 9001-Zertifikat? Bei den meisten Organisationen gibt es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Zertifizierung und Produktqualität, Kundenzufriedenheit oder Zahlungsbereitschaft. Damit ist die Zertifizierung und Auditierung hinsichtlich ISO 9001 nicht dem Qualitätsmanagement, sondern der Compliance zuzuordnen.
Und das ist der Knackpunkt: Die Erfüllung von Anforderungen, für die der Kunde nicht bereit ist zu zahlen und somit nicht wertschöpfend ist, sollten wir aus dem QM verbannen und der Compliance zuordnen. Compliance besteht damit im Einhalten von Anforderungen an Produkte und Organisationen, für die der Kunde nicht bereit ist, explizit zu zahlen.
Sind Managementsysteme nun Compliance? Nein, grundsätzlich nicht. Denn ein Managementsystem ist die Summe aller vorhandenen Spielregeln eines Unternehmens, ob nun dokumentiert oder nicht. Und diese Regeln dienen auch dazu, dass der Kunde bekommt, was er möchte. In der Realität leistet das, was unter dem Stichwort „Managementsystem“ erarbeitet wird, aber oft keinen Beitrag zur Produktqualität und ist tatsächlich Compliance. Zum Glück durfte ich schon viele Unternehmen dabei begleiten, ihr Managementsystem weiterzuentwickeln und die Produktqualität dadurch signifikant zu steigern. Hier wird tatsächlich Qualitätsmanagement betrieben, das seinen Namen auch verdient.
Ist die Steigerung von Prozesseffizienz nun Qualitätsmanagement oder nicht? Auch da möchte ich gerne (als Vorschlag) bei meiner Definition bleiben: Wenn der Kunde bereit ist, für die Prozesseffizienz zu zahlen (z.B. bei einem Dienstleistungsprozess), dann können wir von Qualitätsmanagement sprechen. Wenn lediglich die internen Prozesskosten sinken, ist es einfach Prozessmanagement. Selbstverständlich sind diese Disziplinen nicht trennscharf, sondern haben deutliche Überlappungen.
Und wie sieht es nun mit Führungsqualität, mit Purpose, Mission und Vision aus? Das ist doch bestimmt Qualität, oder? Ich würde sagen: eher nein. Die Korrelation mit der Kundenzufriedenheit ist nicht groß genug, die Korrelation zu anderen Zielen deutlich größer. Die Bedeutung ist immens, aber die passende Fachdisziplin nennt sich Betriebswirtschaft oder General Management.
In manchen Unternehmen übernimmt der QMler jegliche Art von internen Verbesserungsprojekten. Ist das Qualitätsmanagement? Nach meiner Definition nur der Anteil der Projekte, die die Kundenzufriedenheit signifikant positiv beeinflussen. Alle anderen Projekte sind anderen Fachdisziplinen zuzuweisen. Und wenn es ein ganz bunter Mix ist, dann ist die korrekte Rollenbezeichnung vielleicht einfach „Inhouse-Consultant“.
Kleinere Unternehmen werden anmerken, dass sie sich keine separaten Qualitäts- und Compliance-Manager leisten können. Das ist klar und führt dazu, dass eine Person mehrere Rollen einnimmt. Ob das Zusammenfassen von Compliance- und Qualitätsmanagement eine sinnvolle ist, lasse ich an dieser Stelle offen. Fest steht, dass diese Disziplinen völlig unterschiedliche Persönlichkeits- und Kompetenzprofile erfordern und das Gehalt eines QMlers aufgrund des wertschöpfenden Effekts meiner Einschätzung nach doppelt so hoch sein müsste. Werden die beiden Rollen jedoch von einer Person durchgeführt, sollte sie nur die nötige Energie in die Compliance und möglichst viel Energie ins wertschöpfende QM investieren.
Stellt euch mal für einen Moment vor, QMler wären perfekt dafür ausgebildet diejenigen Projekte und Initiativen zu identifizieren, die die Produktqualität und damit die Zahlungsbereitschaft der Kunden nachhaltig mit dem höchsten Wirkungsgrad verbessern. Sie wären in der Lage, agil und hochwirksam entsprechende Projekte umzusetzen, den Change zu begleiten sowie die Integration in den Alltag der Linie sicherzustellen. Sie wären hervorragende Inhouse-Consultants mit Zielrichtung Kundenzufriedenheit und Zahlungsbereitschaft. Dank guter Digitalisierung hätte der QMler eine Datengrundlage, um den Effekt der Projekte und Initiativen zu messen und die gesteigerte Zahlungsbereitschaft der Kunden bei gleichbleibenden Kosten der Leistungserbringung plausibel zu machen.
Das QM hätte kein Imageproblem mehr. Die Ausbildung des QMlers wäre dann eher ein Studium als eine Zusatzausbildung, wäre branchenspezifisch und hätte einen glasklaren Fokus. Damit könnte ein hohes Maß an Expertise und Exzellenz in dieser Fachdisziplin entstehen, die von anderen Fachdisziplinen nicht mal eben verdrängt werden können. Durch den klaren Fokus auf Wertschöpfung und im Idealfall auch auf die Messbarkeit dessen traue ich dieser Art von Qualitätsmanager durchgängig 6-stellige Jahresgehälter zu. Normung kann dabei eine Rolle spielen, muss sie aber nicht.
Ich finde die ISO 9001 ist in Ihrer aktuellen Ausprägung eine handwerklich sehr gute Norm. Das System der Zertifizierung war in der Vergangenheit zur internationalen Harmonisierung des Qualitätsverständnisses und zur Vertrauensbildung sehr wertvoll. Das Gesamtsystem der ISO 9001 Zertifizierungen ist auf Grund von Anreiz- und Kontrollmechanismen allerdings in Schieflage, so dass ein ISO 9001 Zertifikat keine Aussagekraft (mehr) hat.
Ich rechne durch technische Alternativen der Vertrauensbildung zwischen Kunden und Lieferanten damit, dass das Prinzip der ISO 9001 Zertifikate an Bedeutung verliert und letztlich in den nächsten 10 Jahren vom Markt verschwindet. Ich könnte mir unveränderliche (Blockchain-) Bewertungsportale von Unternehmen und Leistungen vorstellen. Schon heute hat eine Google-, Kununu- oder Amazon-Bewertung faktisch mehr Aussagekraft als ein ISO 9001 Zertifikat. Zu dem Zeitpunkt wird spannend, wie sich das Qualitätsmanagement im Wettbewerb der Fachdisziplinen behaupten wird, wenn eine ISO 9001-Compliance keine Rolle mehr spielt.
*) Bei der Qualitätsdefinition halte ich mich gerne an das Unternehmerische Qualitätsverständnis, welches Prof. Robert Schmitt mit uns etwa 2006 an der RWTH Aachen entwickelt hat: Qualität ist die Schnittmenge zwischen expliziten und impliziten Forderungen des Kunden „Soll“ und den gelieferten Eigenschaften „Ist“. Dabei bin ich ein Freund davon auch den Preis als Qualitätsmerkmal zu sehen. Mit der Definition ist zu erwarten, dass Qualität und Kundenzufriedenheit extrem stark korrelieren. Eine gute Messgröße kann hier der Net Promoter Score (NPS) sein.
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