Die Norm ISO 9001:2015 und die Idee des ganzheitlichen Qualitätsmanagements betonen das unternehmerische Denken durch Schlagworte wie Strukturierung und Führung eines Unternehmens, Kundenorientierung und kontinuierliche Optimierung. In der Praxis ist die Disziplin jedoch oft in Zertifikaten, Audits und internen Nachweisen gefangen, was zu einer übermäßigen Bürokratie in vielen Unternehmen führt, die sich in Aussagen von Unternehmensvertretern widerspiegelt:
Ein Phänomen, das als zu hohe „Theaterquote“ ohne direkte Wirksamkeit von verschiedenen Experten zu Recht kritisiert wird. Die "Theaterquote" beschreibt den Anteil der Ressourcen und Aktivitäten eines Unternehmens, die darauf verwendet werden, ein bestimmtes Image zu wahren oder Prozesse aufrechtzuerhalten, die keine direkte Wertschöpfung für Kunden bieten. Diese Diskrepanz zwischen eigentlichem Ziel und der zu hohen Bürokratie heizt die aktuelle Debatte über die Zukunft des Qualitätsmanagements an, welche Rudolf A. Müller in seiner LinkedIn Veröffentlichung sehr gut auf den Punkt bringt: Wo, bitte geht’s nach vorne. Das grundlegende "Wozu" des Qualitätsmanagements wird zunehmend infrage gestellt und die Antworten darauf bleiben in vielen Unternehmen oft unklar.
1. Effizienz vs. Effektivität
Die aktuelle Diskussion (Qualitätsmanagement abschaffen oder weitermachen wie bisher) spiegelt ein Zieldilemma des Bereiches wider. Ja, das Qualitätsmanagement wird in Unternehmen für Zertifizierungen und damit verbundene Marktzugänge benötigt – aber bringt die Verwaltung der zu hohen Dokumentationslast und zu hohen Theaterquote intern in den Unternehmen einen weiteren Nutzen? Diese Frage stellen sich zunehmend mehr Geschäftsführer und argumentieren oft: „Wir müssen in dem Bereich effizienter werden, sowohl in der Steuerung als auch in der Pflege der Dokumente, und wir müssen effektiver werden.“
Die Forderung nach Effizienz zur Senkung der oft kritisierten "Theaterquote" wird nicht zu einem besseren Ziel führen, sondern weiterhin einem unternehmerisch ineffizienten Ziel hinterherlaufen. Daher muss die Frage nach der Effektivität gestellt werden, die andere Ziele des Qualitätsmanagements mit sich bringt. Nur effizienter zu werden, also die Dinge richtig und kostengünstig zu tun, hilft dem Thema in der Zielerreichung nicht zu mehr Kundenorientierung oder besserer Führung.
Es fehlen oft Zielsysteme und Anreizsysteme für die verantwortlichen Quality Manager in Unternehmen, wie es Carsten Behrens in seinem Beitrag „Wie werde ich als Qualitätsmanager wirksam und wertgeschätzt“ darstellt. In diesem diffusen Zielbild wird deutlich, dass viele Unternehmen die Frage nach der Effektivität des Qualitätsmanagements für sich noch nicht beantworten haben. Die Folgen zeigen sich in der Wahrnehmung und Akzeptanz des Bereiches bei den anderen Kollegen: Der hohe bürokratische Aufwand und die als lästig empfundene "Theaterquote" haben dazu geführt, dass viele Kollegen die Arbeit an Prozessen als "unsexy" empfinden, wie es eigene Managementsystemverantwortliche wie Anja Hirschler: Prozesse sind unsexy – omg, hat sie das gerade gesagt selbst schreiben.
2. Suche nach neuen Zielen und Perspektiven
Qualitätsmanagement, oft als trocken und langweilig empfunden, birgt in seinen Grundsätzen doch ein enormes unternehmerisches Potenzial mit, das oft übersehen wird. Die Norm ISO 9001:2015 verankert klare Ziele in seinen Grundsätzen wie:
Diese Grundsätze sind nicht nur Schlagworte, sondern vielmehr die Essenz eines effektiven Unternehmens, die jeder Geschäftsführer als erstrebenswerte Ziele unterstreicht. Das eigentliche Ziel des Qualitätsmanagements geht über das bloße Anbringen von Zertifikaten an der Wand und einer hohen Theaterquote hinaus.
Qualitätsmanagement als Schlüssel zur Positionierung am Markt
An der Stelle sei ein Praxisbeispiel genannt, das aufzeigt, wie das Qualitätsmanagement als unternehmerisches Werkzeug eingesetzt wird und diese Buzzwords der Norm mit Leben füllt. Thomas Müller, ein Schweizer Zahnarzt und Geschäftsführer, arbeitet intensiv an der Weiterentwicklung der Prozesse innerhalb seiner Gemeinschaftszahnarztpraxis. In einem gemeinsamen Gespräch erläuterte Thomas seine Sicht auf das Qualitätsmanagement und den unternehmerischen Zielwert dieser Disziplin.
Vor einigen Jahren konnten nur Zahnärzte mit Schweizer Universitätsabschluss in der Schweiz praktizieren. Mit der Öffnung der Berufsgrenzen in der Schweiz hat sich die Zahl der Zahnärzte in kurzer Zeit durch Zahnärzte aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien nahezu verdoppelt. Die Anzahl der Patienten blieb gleich, mit der Folge eines zunehmenden Wettbewerbs und entsprechendem Preisdruck. Wie kann sich ein Schweizer Zahnarzt mit den offenen Fragen im Markt neu positionieren?:
Der Fokus auf die Disziplin Qualitätsmanagement unterstützte ihn als Geschäftsführer bei der Antwort auf diese Fragen. Er konzentriert sich in seinem Managementsystem mit seinen Mitarbeitern auf die drei Grundsätze der Norm:
Seine Organisation kämpft zunächst mit viel Bürokratie, vielen Dokumenten und wenig Wirksamkeit. Der gelebte Praxisalltag lässt sich nicht in die Prozesse und Dokumente integrieren. Der interne Nutzen ist wie auch in vielen anderen Unternehmen nicht vorhanden. Durch die dezentrale Verteilung der Prozesse und Informationen an die Mitarbeiter sowie die Beteiligung aller Mitarbeiter an der Prozessgestaltung mit hohem Wissenstransfer gelingt es, den gelebten Alltag in die Prozesse zu integrieren. Die Wirksamkeit und Akzeptanz des Qualitätsmanagements im Alltag der Mitarbeiter sind durch den hohen Praxisbezug und die Aktualität der Informationen gewährleistet. Der Effekt auf das Unternehmen ist vor allem geprägt durch eine hohe Patientenorientierung in den Prozessen und eine kontinuierliche Verbesserung der Abläufe. Dies spiegelt sich in einer sehr modernen und fortschrittlichen Praxis wider:
Trotz Preiskampf und Wettbewerbsdruck kann die Praxis eine hohe Qualität in allen Prozessen gewährleisten, was dazu führt, dass die Patienten wiederkommen und die Praxis regelmäßig an neue Patienten weiterempfohlen wird. Ein Managementsystem als Instrument zur Marktpositionierung und als Wettbewerbsvorteil!
Perspektivwechsel für Effektivität: Die Rettung des Qualitätsmanagements?
Die Schlussfolgerung aus diesem Beispiel und ähnlichen Erfahrungen ist klar: Eine andere Perspektive auf das Qualitätsmanagement kann die Effektivität deutlich steigern. Diese Rückbesinnung auf die zugrundeliegenden Grundsätze der Norm könnte sogar eine Rettung der Disziplin Qualitätsmanagement sein. Die aktuelle Debatte um das Qualitätsmanagement fordert eine kritische Überprüfung der Ziele und eine mögliche Neuausrichtung. Ein Perspektivwechsel scheint notwendig und möglich, um die Disziplin unternehmerischer zu gestalten und eine bessere unternehmerische Wirksamkeit im Qualitätsmanagement zu erreichen.
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Das Qualitätsmanagement krankt. Die Schere zwischen eigenem Anspruch und Realität klafft weit auseinander und die Anzahl sowie Bedeutung der Qualitätsmanager nimmt ab...