Kultur schlägt Kapital – Eine kleine Anleitung fürs Arbeiten an der Unternehmenskultur

Benedikt Sommerhoff

Von

Benedikt Sommerhoff

Veröffentlicht am

10.10.2024

Kultur schlägt Kapital – Eine kleine Anleitung fürs Arbeiten an der Unternehmenskultur

Wenn alles getan ist oder wenn nichts mehr geht. Dann rückt sie in den Fokus, dann gehen wir ihr auf den Grund, der Unternehmenskultur.

Was ist Unternehmenskultur?

Unternehmenskultur ist der kollektiv akzeptierte, tradierte Verhaltenskodex.  Er vermittelt durch alltägliches Agieren und Reagieren, „was man und wie man’s hier tut und nicht tut“. Dieser Kodex ist in der Organisation langfristig gewachsen und wächst auch weiter. Er bildet die Grundlage für die Entscheidungen der Mitglieder der Organisation, wen sie als weiteres Mitglied integrieren und wen sie ausschließen. Beobachtbares Verhalten gibt deshalb auch die stärksten Hinweise auf konkrete Unternehmenskulturen.  

Diese oder eine andere geeignete Definition von Unternehmenskultur brauchen wir, wenn wir uns mit ihr befassen wollen. Sonst reden wir sehr leicht aneinander vorbei.

Wer und was prägt die Kultur?

Die Unternehmenskultur wächst über eine lange Zeit. Sie wird dabei in besonderem Maße von einzelnen Menschen geprägt. Besonders Leitungs- und Führungskräfte sowie weitere Schlüsselpersonen beeinflussen die Kultur stark, weil sie weitreichende Gestaltungsbefugnisse und Kommunikationsrechte haben oder exponiert sind. Sie sind Vorbilder im Guten wie im Schlechten, sie definieren Prozesse und formulieren Regeln und Freiräume. „Wie der Herr, so’s Gescherr“, ist eine alte Weisheit, die immer noch trägt und auch für Damen gilt, sich dann nur schlechter reimt. Auch das Managementsystem, das System aus Prozessen und Regeln, ist kulturprägend. Sowie die Kommunikation, die etablierten Kommunikationswege, -formate und -formen wirken Kultur gestaltend. Dass das Formale, die Regeln, die Ablauf- und die Aufbauorganisation so stark auf das Wachsen der Unternehmenskultur wirken, mag einige verblüffen. Wir haben nicht hier die Kultur und dort die Struktur. Struktur formt Kultur, Kultur wirkt auf die Strukturierenden zurück. So lässt sich auch nicht direkt an der Kultur arbeiten. Kultur kann sich verändern, wenn Menschen gehen oder wir sie auswechseln, wenn wir Prozesse und Regeln verändern, wenn wir die Kommunikation verändern. Das Ergebnis ist allerdings nicht vorhersagbar, neben erhofften und angestrebten Effekten können auch ungewollte und unerwartete entstehen.  

Nun haben wir also auch schon die Stellhebel fürs Arbeiten an der Kultur identifiziert: Menschen, Managementsystem, miteinander reden.

Inder, Frauen, Chemiker, … sind so?

Schubladendenken ist oft irreführend, bei der Unternehmenskultur ist es völlig untauglich. Deutsche sind pünktlicher als Inder! Alle Deutschen sind pünktlicher als alle Inder? Frauen sind sensibler als Männer! Alle Frauen …, … alle Männer? Und ist dann eine indische Chemikerin pünktlicher als ein deutscher Sozialwissenschaftler sensibel ist? Wenn kulturelle Eigenschaften annähernd normalverteilt wären, wie z.B. Führungsverhalten zwischen den Polen egalitär und hierarchisch, dann können sich die Verteilungen verschiedener Gruppen oder Nationalitäten durchaus stark überlappen, auch wenn sich die Mittelwerte deutlich unterscheiden. In einer Organisation prägt zudem die konkrete Führung die Führungskultur, auch wenn diese von der nationalen Kultur deutlich abweicht. Unternehmenskulturen können also durchaus nationale und andere Subkulturen überlagern, „überschreiben“.  

Verzichten wir also auf kulturelle Stereotypen, dann erkennen wir auch leichter, was im Unternehmen kulturell wirklich los ist.

Eine Kultur? Dutzende!

Schauen wir genau hin: Ein Unternehmen, auch unseres, hat doch nicht nur eine Kultur. Es hat viele Kulturen. Standortkulturen unterscheiden sich, auch Bereichskulturen, wie die im Marketing zu der in der Produktion. Wenn größere Gruppen unterschiedlicher Professionen im Unternehmen sind: Ingenieurinnen und Ingenieure, Juristinnen und Juristen, Chemikerinnen und Chemiker, Betriebswirtinnen und -wirte, dann unterscheiden sich auch deren Kulturen. Wobei – siehe oben – bitte nicht in Stereotypen verfallen. Und dann gibt es auch unterschiedliche Themen, die Teilkulturen schaffen, die wiederum Subkulturen ausbilden können: Innovationskultur, Führungskultur und auch Qualitäts- und Fehlerkultur.

Zwischenfazit: Unser Unternehmen hat nicht eine Standardkultur, es hat viele (Sub-)Kulturen. Und das ist auch gut so!

Qualitäts- und Fehlerkulturen

Qualitätskultur oder Fehlerkultur sind Teilmengen oder Facetten der Unternehmenskultur. Die von Qualitätsmanager und Qualitätsmanagerinnen immer wieder zu hörende Klage über fehlendes Qualitätsbewusstsein oder eine schlechte Qualitätskultur verkennt oft das Wesen der Kultur, vernebelt aber auch die wirklichen Ursachen und Wirkungen. Eine schlechte Qualitätskultur ist selten die Ursache und ein besseres Qualitätsbewusstsein kaum die Lösung von Qualitätsproblemen.  Wie bereits erwähnt, liegen die eigentlichen Ursachen in den Menschen, in den Prozessen und Regeln sowie in der Kommunikation. Wir müssen nach Fehlanreizen, Dysfunktionalitäten im Managementsystem und Zielkonflikten fahnden. Dort müssen wir mit Verbesserungen ansetzen, nicht bei der Kultur. Und wir müssen herausfinden, welche Führungskräfte durch ihre konkreten Entscheidungen und Verhaltensweisen wiederholt und systematisch Qualität kontaminieren und die Qualitätsfähigkeit untergraben.  
Noch ein Gedanke zur legendären Fehlerkultur. Hier gibt es insofern ein Missverständnis, als es auch hier um ganz unterschiedliche Dinge geht, gehen muss. Oft wird mit dem Ruf nach einer guten Fehlerkultur gemeint, dass jeder sich frei und offen zu Fehlern äußert, zu eigenen und denen anderer, damit alle gemeinsam lernen und den gleichen Fehler nicht wiederholen. Das wäre eine schöne Lernkultur. Es gibt aber Tätigkeiten und Bereiche, da darf es gar keine Fehler geben. Da von Fehlerkultur zu sprechen, wäre irritierend und irreführend. Da braucht es Disziplin, Akribie, Konzentration, Vorsicht, Prävention …  Wir müssen ganz klar unterscheiden zwischen Unternehmensbereichen, die kreativ, innovativ und iterativ voranschreiten sollen, und solchen, die durch Prävention Fehlerquoten minimieren oder gar ausschließen sollen.  

Die Menschen in Organisationen haben ein gutes Qualitätsbewusstsein und wollen lieber Qualität als Nichtqualität abliefern. Tun sie es nicht, sollten wir nicht ihren Charakter, sondern unser System infrage stellen.  

Leitbilder verblassen, Appelle verklingen

Ein signifikanter Teil von Kulturprojekten in Unternehmen sind „Leitbildprojekte“ und münden in starke Appelle. „Verschriftlichte Leitbilder listen häufig nur auf, was Führungskräfte oder Mitarbeitende am meisten vermissen.“* Hängen die Poster und steht das neue Leitbild im Internet, frage und beobachte bitte genau: Was ist jetzt anders? Hat das Unternehmen keine Menschen ausgetauscht oder Prozesse und Regeln oder Kommunikation verändert, bleibt geradezu zwangsläufig alles beim Alten, auch und gerade die Kultur. Oft aber auf einem erhöhten Frustlevel, denn das Leitbildprojekt hat so schön träumen lassen, hat an eine bessere Welt glauben lassen. Leitbilder sind dann brauchbar, wenn sie auf den Punkt bringen, was längst gelebt wird.

Vorsicht also vor Scheinlösungen – Arbeit an der Kultur ist Arbeit am Managementsystem.

Was tun?

  1. Die eigenen Kulturen erkennen, kennen und verstehen:  
    Gestützt auf taugliche Definitionen, die Kulturen des Unternehmens abbilden. Es hilft, das nicht wertend (gut/schlecht), sondern beschreibend zu tun.
  1. Die Hintergründe und Motive für typisches und kollektives Handeln und Unterlassen identifizieren und verstehen:
    Herausfinden, welche Menschen, Regeln und Kommunikationen kulturell prägend sind, dabei auf Anreiz-/Belohnungs- und Bestrafungssysteme sowie widersprüchliche und dysfunktionale Regeln und auf Zielkonflikte achten (gute Themen für interne Audits!).
  1. Kulturell passende Personen in Führungs- und Schlüsselpositionen bringen und andere austauschen:
    Der vielleicht menschlich schwierigste Part. „Hire for Attitude and train for skills“ ist eine bewährte Weisheit fürs Rekrutieren.  
  1. Ein kulturtaugliches Managementsystem gestalten:
    Der vielleicht handwerklich schwierigste Part: Regeln und Kommunikation so konzipieren und ausgestalten, dass gewollte Effekte entstehen und ungewollte verschwinden. Das gelingt selten auf Anhieb und erfordert Iterationen.
  1. Lieber nichts tun als kulturuntaugliches tun:
    Kulturprojekte nur dann starten, wenn Ursachen verstanden, Ziele klar und Lösungen realistisch sind – und dann auch nur interdisziplinär und kollektiv. Reine Textarbeit an Leitbildern verpufft wirkungslos.

Was nehmen wir mit? Unternehmenskultur lässt sich nicht einfach ändern, sie ist das Ergebnis von Menschen, Prozessen und Regeln! Schubladendenken und Scheinlösungen helfen nicht – packen wir sie stattdessen an den echten Stellhebeln an!

*Danke, Jochen Muskalla, für dieses Bonmot, ich habe es in all den Jahren nie vergessen.

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